Über den Münchner Fasching:

aus Josef Ruederer, München, Carl Krabbe Verlag 1905


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Aber schon rufts zum nächsten Tanz, zur Francaise. Man hebt kreischende Weiber über die Brüstung der Logen, man pufft nach allen Seiten, man drängt und schiebt ohne Rücksicht, ohne Pardon. Mit Not und Mühe stellen Tanzordner die einzelnen Schlachtreihen auf. Tönen aber die ersten Klänge, dann löst sichs in Vor- und Zurücktreten, in Komplimente und Kusshände, in Balancieren und Drehen. Immer lauter tönt der Jubel, immer kecker fliegen die Röcke ---- da, bei der vorletzten Tour hebt sich im rasenden Ringelreih das wiehernde Lachen zum bachantischen Gebrüll. Alle die hochgehobenen Weiber mit fuchtelnden Armen und strampelnden Beinen erscheinen in diesem Augenblick wie ein ungeheures Ganzes, ein Riesenpolyp, der mit den Männern erst Fangball spielt, eh er sie gänzlich verschlingt.


Ist die letzte Francaise getanzt, der Kehraus gespielt, dann verschwindet man langsam. Der eine ins Bett, wenn dies nützliche Möbel noch nicht ins Leihaus gewandert ist, der andere zu Weißwurst und Bockbier, der dritte ins Café Luitpold. Viel schleichen in Frack und Lackschuhen durch Matsch und Schnee direkt zum Ladentisch, um Rosinen oder Heringe zu verkaufen, andere sinnen nach neuen Vergnügen und .....

 

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... hinaus auf die Strasse: Dazwischen wimmelts von Reitern, Wagen, Radeln, Schnauferln, fauchend, schreiend, pustend. Schweinsblasen krachen, die Pritschen fallen und fortwährend - ein Geschrei von tausend neugeborenen Kindern - tönen

 

kleine Trompeten. Ein ungeheueres Skandalorchester, wie von Gasmotoren in Bewegung gehalten.

 

Aber auch die Häuser sind rebellisch geworden nach dem langen Winterschlafe. Sie sehen aus, als schnitten sie vergnügte Grimassen, als rissen sie weit ihre Augen auf. Nun sausen aus allen Stockwerken Luftschlangen, Papierkugeln, Orangen.

 

Und das Riesenorchester spielt weiter, und die Allotria dauert fort. Dort hauen sich Pierrots Bahn, Soldaten ziehen singend und schiebend durch die Menge, Mütze rechts, Mütze links, Lumpen, alte Weiber und alle zwei Schritte, wo man geht, ein besoffener Bauer. Der kommt in kurzen, in langen Hosen, in Joppe, ohne Joppe, er reitet auf einem Klepper, er fährt mit Weibern und Kindern, ja gleich mit der ganzen Gemeinde auf einem Leiterwagen spazieren, er trinkt Bier, er haut, sticht, singt, er ist die gefeierte Hauptperson des Tages.

 

Der Münchner schaut und schaut. Er schaut gemächlich nach rechts, nach links, er schaut nach vorne, nach hinten, nach oben, nach unten, er schaut sich die Augen heraus. Nur das Maul sperrt er auf, bis ihm Konfetti hineinfliegen oder ein kräftiger Guss auf Deckel und Nase erfolgt. (...) Morgen ist Aschermittwoch, der Tag der Busse, Geldbeutelwäsche und der Stockfische. Das weiss er, der Münchner. Drum kanns ihm Recht sein, wenn andere für ihn die Andacht verrichten.